
Strategieexperte Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser beantwortet Ihre Fragen zu Immobilien, Wirtschaft und Politik.
Reinhard C. Meier-Walser (* 7. Mai 1957 in Steyr) ist ein deutscher Politikwissenschaftler.
Reinhard Meier-Walser ist gebürtiger Österreicher. Er wuchs in München auf, absolvierte.. weiterlesen
Angesichts der außergewöhnlich hohen Inflation, die in Deutschland zu Beginn des Jahres bereits bei rund fünf Prozent lag, mittlerweile auf über sieben Prozent geklettert ist und sich sukzessive bedrohlich der Zweistelligkeit annähert, hatten viele Bürgerinnen und Bürger gehofft, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ihre extrem lockere Geldpolitik korrigieren und der EZB-Rat auf seiner „Ostersitzung“ eine zumindest moderate, symbolische Anhebung des seit 2016 bei null Prozent (!) eingefrorenen Leitzinses initiieren würde.
Doch die Obersten Währungshüter konnten sich nicht zu einer geldpolitischen Kurskorrektor entschließen. Der Hauptgrund für diese Entscheidung ist die Befürchtung, der durch den Ukraine-Krieg ohnehin stark gebremste Wirtschaftsaufschwung in der Euro-Zone würde durch ein Drehen an der Zinsschraube zu einer weiteren Konjunkturabschwächung und damit zur Erhöhung der Arbeitslosenquote bei gleichzeitig hoher Inflation führen. Die Währungshüter der EZB stehen gegenwärtig vor einem delikaten und nahezu unlösbaren Dilemma: Einerseits sollen sie die Rekordinflation bekämpfen, wozu eine straffere Geldpolitik nötig wäre. Andererseits gehören die nach wie vor massiven, Corona-bedingten Liefer- und Versorgungsengpässe sowie die dramatischen Preisanstiege im Sektor fossiler Energien und Strom zu den Haupttreibern der Inflation. Weil die EZB auf diese Faktoren keinen Einfluss hat und sogar zu befürchten steht, dass die Energiepreise weiter klettern, lehnt sie Zinserhöhungen, die konjunkturdämpfend wirken würden, derzeit (noch) ab.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat aber vor kurzem bereits angedeutet, dass die Zentralbank ihre milliardenschweren Ankäufe von festverzinslichen Wertpapieren im dritten Quartal 2022 beenden werde, wodurch dann Spielräume für Zinserhöhungen geschaffen würden. Während die Präsidentin keine konkreten Zeitpläne machte, nannte EZB-Vize Luis de Guindos eine Leitzinserhöhung bereits im kommenden Juli oder kurz darauf als ein realistisches Szenario. Zwar ist die Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik noch nicht besiegelt, aber es scheint, so die Süddeutsche Zeitung am 2. Mai, festzustehen: „Europa steht vor der Zinswende“.
Was wären die Konsequenzen dieser bevorstehenden geldpolitischen Kurskorrektur, insbesondere auch für Immobilienbesitzer und solche, die es werden wollen, in der Bundesrepublik Deutschland?
Die Nullzinspolitik der EZB hatte, so die SZ zu Recht, in den vergangenen Jahren auch erheblichen Einfluss auf die Vermögensverteilung innerhalb der Gesellschaft und begünstigte dabei Immobilieneigner und -käufer. Wer aufgrund der niedrigen Bau- und sonstigen Kreditzinsen eine Immobilie erwerben oder bauen konnte, profitiert zusätzlich vom „Preisboom an den Häusermärkten“, während andere „verzweifelt bezahlbare Mietwohnungen“ suchen. Von der lockeren Geldpolitik und der damit verbundenen Konjunkturbelebung profitierten im Zuge des willkommenen Lohnanstieges zwar die Arbeitnehmer generell – proportional aber wesentlich geringer als Immobilienbesitzer (SZ 29.4.2022).
Im Zuge eines weiteren Anstieges der bereits exorbitanten Inflation werden zweifellos die Gewerkschaften – das deutete sich bei den Kundgebungen zum 1. Mai bereits an – den Finger heben und deutliche Steigerungen bei den kommenden Lohnrunden fordern. Dies würde allerdings die Inflation durch die Dynamik der Lohn-Preis-Spirale weiter anheizen und dadurch eine baldige Straffung der Geldpolitik noch drängender machen.
Seit dem Herbst vergangenen Jahres ist bereits ein stetiger und nahezu linearer Anstieg der Bauzinsen zu konstatieren. Zwar sind diese Zinsen im historischen Vergleich nach wie vor auf niedrigem Niveau (Effektivzins p.a. für Standardfinanzierung ca. zwischen 2,3 und 2,7 Prozent), aber sie werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf absehbare Zeit nicht wieder sinken, sondern nicht zuletzt wegen der Konsequenzen der zu erwartenden EZB-Kurskorrektur weiter steigen. Da eine private Immobilienfinanzierung in der Regel eine langfristige, mehrjährige oder sogar jahrzehntelange kontinuierliche Belastung nach sich zieht, bedeutet die Zinsrate eine signifikante Stellgröße für die Immobilienerwerbs-Planung und entscheidet oftmals sogar über Kauf oder Nichtkauf. Im Bereich flexibler Zinsraten wiederum kann eine deutliche Zinssteigerung bestehende Finanzierungspläne ins Wanken bringen und in Extremfällen Immobilieneigner sogar zum Verkauf ihres Hauses oder ihrer Wohnung zwingen.
Wenn also im Zuge der möglicherweise noch im Jahr 2022 zu erwartenden Zinswende die Sparer erstmals wieder reguläre Zinsen für ihre Einlagen erwarten dürfen anstatt die zusätzlich zur inflationsbedingten Geldentwertung als „Verwahrentgelte“ oder „Einlagegebühren“ etikettierten Negativ- oder Strafzinsen in Kauf nehmen zu müssen, sollten Immobilieneigner und Bau- bzw. Kaufwillige genau kalkulieren, ob der einstige Traum vom Eigenheim nicht zum „Risiko Eigenheim“, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung, mutieren könnte: „Die Banken beschwichtigen zwar, der Immobilienmarkt in Deutschland sei solide finanziert. Doch die Kaufwilligen reagieren schon mit kürzeren Laufzeiten und geringeren Tilgungsraten. Kurzum: Ihr Budget ist schlicht begrenzt, und sie müssen das Risiko erhöhen und Zinsrisiken und Tilgungslasten in die Zukunft verschieben.“ (FAZ.net, 18.4.2022)
Da die Preise für Wohnimmobilien nach wie vor hoch sind und in der Rechnung Eigentum oder Miete der Zins eine wichtige Rolle spielt, wird mit der Zinswende der EZB und dem weiteren Anstieg der Bauzinsen der eine oder andere Bauinteressent sich stattdessen für einen Verbleib im Mietverhältnis entscheiden. Für manche Immobilieneigner, zumal diejenigen, die neue Kredite benötigen und sich mit höheren Zinsen konfrontiert sehen, könnte hingegen der Verkauf des Hauses bzw. der Wohnung und ein Wechsel in eine Mietimmobilie eine interessante Option werden, weil dann nach langen Jahren der Benachteiligung von Sparern auch der Verkaufserlös als Barvermögen gewinnbringende Anlagemöglichkeiten bieten kann.
Guten Tag Herr Prof. Dr. Meier- Walser,
wenn man derzeit eine Immobilie im EU- Ausland besitzt und über einen eventuellen Verkauf in 3 Jahren nachdenkt, wie schätzen Sie zu dem benannten Zeitpunkt die Risiken des Verkaufes ein?
Vielen Dank für Ihre fachkundige Aussage.
Mfg. LOTA